„Wie im Zweiten Weltkrieg“ – so kämpfen Nordkoreaner gegen ukrainische Soldaten
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Sumy. Oberleutnant Vasyl ist seit dem russischen Überfall auf die Ukraine Soldat, in diesen drei Jahren hat er vieles erlebt. Dass er eines Tages in Russland gegen nordkoreanische Truppen kämpfen würde, hätte er sich früher niemals vorstellen können. „In meinem wildesten Träumen nicht“, sagt der 23-Jährige, während er an seiner Zigarette zieht. Vasyl ist Kommandeur eines Trupps von rund 50 Mann, der normalerweise in der russischen Region Kursk im Einsatz ist – dort, wo Nordkoreaner die russischen Streitkräfte unterstützen.
Derzeit ist Vasyls Einheit in ihrem Lager in der Ukraine, rund 14 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. „Seit Dezember sind wir insgesamt nur zwei Wochen hier gewesen, den Rest der Zeit haben wir auf der anderen Seite der Grenze verbracht“, sagt der Offizier. Der Druck der russischen Truppen auf die Ukrainer in Kursk sei vergleichbar mit dem, den sie an der Front in der Ukraine ausübten – hier wie dort haben sie in den vergangenen Monaten Gelände gewonnen.
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An vorderster Front: Wassyl ist Kommandeur eines Trupps von rund 50 Mann.
Quelle: Andy Spyra/RND
Die Ukraine war im August überraschend in die Region Kursk einmarschiert. Präsident Wolodymyr Selenskyj baut darauf, den Landstrich als Faustpfand im Fall von Verhandlungen mit Russland einzusetzen, das rund 20 Prozent der Ukraine besetzt hält. Die Hoffnung, den Kremlchef mit der Offensive dazu zu zwingen, Truppen aus der Ostukraine abzuziehen und deren Vormarsch dort zu stoppen, hat sich aber nicht erfüllt.
Stattdessen hat Nordkoreas Diktator Kim Jong Un im Herbst zur Unterstützung der russischen Gegenoffensive Truppen nach Kursk geschickt – der britische Militärgeheimdienst geht von 11.000 Soldaten aus. Selenskyj sagte anlässlich des dritten Jahrestags des russischen Überfalls auf sein Land, die Nordkoreaner hätten rund 4000 Soldaten in Kursk verloren. Kim plane, 1500 bis 2000 neue Soldaten zu schicken, um die Verluste auszugleichen. Die Nordkoreaner, die Russland zudem mit Granaten und Raketen belieferten, lernten durch ihre Kriegsbeteiligung. „Auf der Grundlage dieser Erfahrungen werden sie moderne militärische Ausbildungsprogramme in Nordkorea aufbauen.“
Soldat Schustryj (39) möchte mit seinem Spitznamen zitiert werden, der auf Deutsch mit „flink“ oder „gewitzt“ übersetzt werden kann. Der Maschinengewehrschütze aus Wassyls Einheit gehört zu jenen Ukrainern, die zu den Verlusten der Nordkoreaner beigetragen haben: Er hat nach seinen Angaben und denen seines Kommandeurs mehrere von ihnen getötet.
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Kämpft gegen nordkoreanische Soldaten: Maschinengewehrschütze Schustryj.
Quelle: Andy Spyra/RND
Stundenlang seien die nordkoreanischen Soldaten immer wieder Sturm gegen die Stellungen der Ukrainer gelaufen, sagt Schustryj. „Sie sind wirklich schnell, sie sind treffsichere Schützen, und sie sind gut ausgebildet.“ Einem sei es beispielsweise gelungen, aus 20 Metern Entfernung eine Handgranate zielgenau durch ein Fenster zu werfen. Die Ukrainer hätten die Angreifer dennoch stoppen können. „Diejenigen, die wir nicht erschießen konnten, haben wir mit Artillerie und FPV-Drohnen getötet“ – Letzteres sind Kamikaze-Drohnen, die beim Aufprall explodieren.
Vasyl,
ukrainischer Kommandeur
Auch Kommandeur Vasyl sagt über die Gegner aus Fernost: „Sie sind definitiv gute Kämpfer. Sie haben nichts zu verlieren. Entweder verhungern sie in Nordkorea, oder sie sterben hier an der Front.“ Russen und Ukrainer hätten zumindest in gewisser Weise noch eine Wahl, ob sie in den Krieg ziehen wollten. „Für die Nordkoreaner gilt das nicht. Deshalb kämpfen sie so gut.“
Die nordkoreanischen Soldaten hätten zudem Lehren aus den Verlusten zu Beginn des Einsatzes gezogen, sagt auch Vasyl. „Anfangs haben sie wie im Zweiten Weltkrieg gekämpft.“ So hätten sie zum Beispiel die Gefahr durch Kampfdrohnen völlig unterschätzt. Auf seinem Handy zeigt er ein Drohnenvideo, auf dem viele weiße Punkte zu sehen sind – es sind nordkoreanische Soldaten, die keinen Schutz vor der tödlichen Bedrohung aus der Luft suchen.
Die Nordkoreaner hätten sich anfangs immer wieder in großen Gruppen versammelt und seien damit ein leichtes Ziel für die ukrainische Artillerie geworden, sagt Vasyl. Mit 200 Mann seien sie auf seine Einheit zugestürmt – und dabei allesamt getötet worden. „Jetzt greifen sie nur noch in kleinen Gruppen an.“ Auch scheine sich die Kommunikation zwischen russischen und nordkoreanischen Truppen verbessert zu haben.
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Angriffsplan: Eine handgemalte Karte, die ukrainische Soldaten bei einem getöteten Kämpfer aus Nordkorea gefunden haben.
Quelle: Andy Spyra/RND
In einem Plastikumschlag hat Vasyl gesammelt, was seine Soldaten bei getöteten Feinden gefunden haben. Darunter ist ein nordkoreanischer Angriffsplan vom November, der mit „Schlachtordnung“ überschrieben ist. Die erste Seite zeigt eine Karte des Gefechtsfelds, auf drei weiteren Seiten wird auf Koreanisch detailliert der Einsatzplan dargelegt.
Mit Artilleriebeschuss und Maschinengewehrfeuer solle der Widerstand des Feindes unterdrückt werden, heißt es in dem Papier. Angriffsteams würden in koordinierten Wellen vorstoßen, um den Gegner zu überwältigen. Nach Einnahme des Zielgebiets müsse mit Vorbereitungen auf einen möglichen Gegenangriff begonnen werden. Die Versorgung von Verwundeten aus den eigenen Reihen ist ebenfalls geregelt – deren Abtransport sollte demnach mit eigenen und mit erbeuteten Fahrzeugen geschehen.
Die ukrainische Offensive in Kursk ist umstritten. Kampferprobte Soldaten wie die aus Vasyls Einheit fehlen an der Front, wo die Streitkräfte mit Personalmangel kämpfen. Das liegt auch an den dramatisch gestiegenen Zahlen von Fahnenflucht und unerlaubten Abwesenheiten. Im vergangenen Jahr verzeichnete die Justiz fast 85.000 solcher Fälle – weit mehr als das Doppelte der Gesamtzahl aus den ersten beiden Kriegsjahren.
Wolodymyr gehört zu jenen Männern, die desertiert sind – der 27-Jährige sollte als Panzerschütze nach Kursk gehen. Im Jahr 2018 habe er als Zeitsoldat gegen die prorussischen Separatisten im Donbass gekämpft, sagt Wolodymyr, der in der Hauptstadt Kiew untergetaucht ist. Er betont, dass er auch bereit dazu wäre, sein Heimatland auf eigenem Territorium zu verteidigen – ob das stimmt, lässt sich nicht überprüfen. „Aber ich will nicht in Kursk kämpfen“, sagt er. „Sie wollen, dass ich an einer Operation in einem anderen Land teilnehme.“
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Wolodymyr sollte als Panzerschütze nach Kursk gehen – und ist desertiert.
Quelle: Andy Spyra/RND
Wolodymyr erklärt, nach seiner Ausbildung zum Panzerschützen sei er in die Stadt Sumy in der Nähe der russischen Grenze geschickt worden. Dort hätten ihm Kameraden berichtet, wie verlustreich die Kämpfe in Kursk seien. Er und zwei andere Männer seien davongerannt. Wolodymyr sagt: „Ich will nicht zu Hackfleisch werden.“
Wolodymyr,
desertierter Soldat
Vasyl hat, wie er sagt, für Deserteure wie Wolodymyr keinerlei Respekt übrig. Seine Einheit habe „nicht wirklich viele Verluste“ zu beklagen – genaue Angaben zu Opfern machen die Streitkräfte nicht. „Für mich ist es kein Unterschied, ob wir in Kursk oder in der Ukraine kämpfen“, sagt Vasyl. „Die Russen haben diesen Krieg angefangen.“ In Kursk würden sie nun selbst spüren, wie sich der anfühle. „Wir haben jetzt die Chance, nicht mehr dazustehen wie jemand, der hilflos dabei zusehen muss, während sein Haus zerstört wird. Jetzt können wir zurückschlagen.“
Wie die russische Zivilbevölkerung auf die ukrainischen Soldaten reagiere? „Ich würde sagen, das Verhältnis ist ziemlich neutral“, antwortet Vasyl. „Wir reden nicht über Politik mit ihnen.“ Sabotageakte oder Ähnliches gebe es nicht. „Manche helfen uns sogar.“ Ein alter Mann beispielsweise habe den Soldaten Wasser angeboten, eine alte Frau Fleisch.
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Die Ukrainer möchten sich durch US-Präsident Trumps dubiose Taktiererei mit Kremlchef Putin nicht entmutigen lassen, sondern weiterkämpfen. Dennoch schwindet insbesondere bei den Frontsoldaten die Motivation, wie ein Militärpfarrer sagt – den die Angst vor einer neuen Weltordnung umtreibt.
Wie es in Kursk weitergeht, ist ebenso unklar wie der künftige Kriegsverlauf in der Ukraine. Kremlchef Putin hat es abgelehnt, über Kursk zu verhandeln. Ob die Ukraine bei möglichen Gesprächen über einen Waffenstillstand überhaupt eine Rolle spielen wird, ist angesichts des Schmusekurses von US-Präsident Donald Trump gegenüber Putin fraglich.
Vasyl bejaht die Frage, ob er das Gefühl habe, dass der Westen die Ukraine im Stich lasse. Er hat allerdings auch Verständnis dafür, dass sich bei den Unterstützern im Ausland inzwischen Kriegsmüdigkeit ausbreite. „Auch die Ukrainer selbst sind des Krieges müde.“
Der Einsatz an der Front sei ohne Optimismus unmöglich, sagt der Oberleutnant: „Aber ich bin auch Realist.“ Die Motivation unter den Soldaten schwinde. Nach dem russischen Überfall vor drei Jahren habe es ein Gefühl des Zusammenhalts gegeben. „Damals haben wir gedacht, wir würden die Russen richtig verdreschen. Jetzt ist es ein Krieg der Erschöpfung geworden.“
In ihrem Lager in der Nordostukraine sollen die Soldaten Kraft zwischen den Kampfeinsätzen in Kursk schöpfen. Gefährlich ist es aber auch hier. Auf dem Weg dorthin steuert der Fahrer aus der Einheit das gepanzerte Militärfahrzeug plötzlich in eine Baumgruppe, um es zu verstecken – eine russische Überwachungsdrohne kreist über der Gegend. Erst nach der Entwarnung geht die holprige Fahrt über die gefrorenen Äcker weiter.
Bei dem gepanzerten Fahrzeug handelt es sich um einen amerikanischen MRAP, in dem Insassen vor Minen und Hinterhalten geschützt sein sollen. Geliefert wurde es zu einer Zeit, als die USA noch der wichtigste Unterstützer der Ukraine waren. Vasyl lobt die MRAPs, die in Kursk feindlichen Beschuss unbeschadet überstanden hätten.
Das Lager selbst liegt in einem kleinen Waldstück, die Bäume sind mitten im Winter kahl und bieten kaum Sichtschutz vor Drohnen. Vasyl bittet darum, weder auf dem Weg dorthin noch im Lager Fotos zu machen, weil sie Rückschlüsse auf die Position zulassen könnten. Die Soldaten schlafen in unterirdischen Räumen, die sie in die Erde gegraben haben. Ein umgebauter Bauwagen dient als Bad, dort steht auch eine Waschmaschine. Draußen hängen auf einer Leine gefrorene Uniformteile.
Eine Seite des Bauwagens dient als Rückwand für einen Holzverschlag, in dem Vasyl sitzt, als er von den Gefechten in Kursk erzählt. Ein Ofen sorgt für Wärme, auf ihm steht ein Wasserkessel, der Oberleutnant bietet Kaffee an. Auf einem Tisch steht ein Laptop, daneben laden Akkus für Funkgeräte.
Nach dem Gespräch sagt Vasyl, er habe ein schlechtes Gefühl. In den vergangenen Tagen hätten die Flüge von russischen Überwachungsdrohnen deutlich zugenommen. Er befürchte einen Raketenangriff auf das Lager in der nächsten Zeit. „Die Russen wissen definitiv, wo wir sind“, so der Oberleutnant. „Wir sind nur noch nicht an der Reihe gewesen.“
Mitarbeit: Andrii Kolesnyk
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